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museum für konkrete kunst ingolstadt2003
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mavignier hfg / ulm 1953 - 1958
museum für konkrete kunst ingolstadt 2.5. - 29.6. 2003 es gibt keine unterscheidung zwischen kunst und design. (...) alles was der mensch macht, ist ein gegenstand. jeder gegenstand ist design. ein bild ist design, genauso wie eine skulptur. jeder gegenstand hat einen spezifischen gebrauchswert. wir sitzen, wir trinken und wir haben unsere geistigen bedürfnisse. literatur, malerei, theater, musik, das alles sind unsere geistigen bedürfnisse. die trennung von kunst und design ist absurd. kunst ist design, so einfach ist das, und ich habe daran keinen zweifel.“ einführung, tobias hoffmann (direktor)
das verhältnis von kunst und design und besonders das verhältnis von konkreter kunst und design darzustellen, wird die aufgabe des geplanten museums am kavalier dallwigk in ingolstadt sein. die vereinigung der städtischen sammlung des museums für konkrete kunst mit der privatsammlung kunst + design ermöglicht es erstmals, in einem museum die gemeinsamkeiten von konkreter kunst und design aufzuzeigen. wie keine andere kunstrichtung hat es sich die konkrete kunst zur aufgabe gemacht, die grundlagen der gestaltung zu erforschen. diese grundlagenforschung war vielfach mit dem wunsch und der verpflichtung verbunden, dass ihre ergebnisse einfluss auf die gestaltung der umwelt, der lebenswirklichkeit des menschen nehmen sollten. das geplante museum für konkrete kunst und design wird deshalb versuchen, deutlich zu machen, wie konkret diese kunstrichtung tatsächlich ist. almir mavignier erklärt die trennung von kunst und design für absurd. das geplante museum wird diese in vielen museen praktizierte „absurdität“ aufzuheben versuchen. es ist deshalb eine besondere freude, in der vorausschau auf das neü museum, mit almir da silva mavignier einen künstler zu präsentieren, der wie kaum ein anderer künstler diese einheit von kunst und design in seinem oeuvre verwirklicht hat.
nach einer künstlerischen ausbildung und ersten künstlerischen erfolgen in brasilien reiste almir mavignier 1953 nach ulm, um an der neugegründeten hochschule für gestaltung zu studieren. gelockt hat ihn vor allem die tatsache, dass dort max bill tätig war, der in enger zusammenarbeit mit inge scholl und otl aicher die gründung der schule vorbereitet und ihr konzept erarbeitet hatte. almir mavignier kam als künstler, um bei dem künstler max bill zu studieren. zunächst lehnte bill ihn ab, doch nahm er ihn etwas später als student der abteilung visülle kommunikation auf. unterrichtsziel der schule war nicht die künstlerische ausbildung, sondern die ausbildung von „industrie-entwerfern“. angelehnt an den vorkurs des bauhauses, nahm jedoch jeder studierende zunächst an der grundlehre teil. die lehrer der grundlehre waren ehemalige bauhäusler wie helene nonné-schmidt, josef albers, walter peterhans, johannes itten, max bill oder konkrete künstler wie friedrich vordemberge-gildewart, der auch die abteilung visülle kommunikation leitete. dieser aspekt macht die geschichte der hfg ulm, die an ihr entstandenen produkte und die dort entwickelten konzepte für das museum für konkrete kunst ingolstadt besonders interessant. die oben aufgezählte reihe von künstlern verdeutlicht, dass gerade in der frühphase unter dem rektorat von max bill (1953-1956) die hfg ulm ein knotenpunkt der konkreten kunst war. bill, vordemberge-gildewart und albers lehrten dort gemeinsam und schufen werke der konkreten kunst. gleichzeitig bot die schule die möglichkeit, sich mit den werken und theorien der älteren bauhaus-generation auseinander zu setzen. die lehre an der hfg, die entwürfe der dozenten und schüler sowie die entwickelten konzepte stehen somit in einer direkten beziehung zur konkreten kunst. almir mavignier kommt dabei unter den schülern der hfg eine besondere rolle zu, da sich in seinem werk diese direkte beziehung auf besondere weise zeigen lässt. seit seiner zeit an der hfg hat sich mavignier immer sowohl als konkreter künstler als auch als grafik-designer verstanden. hatte mavignier vor seiner zeit an der hfg schon erste konkrete bilder gemalt, so war die zusammenarbeit mit den lehrern an der hfg natürlich zu einem inspirationsqüll für die weiterentwicklung seiner konkreten kunst geworden. im laufe seines studiums der visüllen kommunikation kam neben der gestaltung von gemälden noch das tätigkeitsfeld der plakatgestaltung hinzu. beide bereiche haben sich gegenseitig beeinflusst und lassen sich nicht voneinander trennen. sie sind gleichermaßen ausdruck der künstlerischen konzepte, die mavignier sich im laufe seines lebens erarbeitet hat und die maßgeblich durch seine zeit an der hfg beeinflusst wurden. deshalb hat sich das museum für konkrete kunst entschlossen, begleitend zur plakat-ausstellung almir mavigniers zeit an der hfg ulm mit einem katalog zu dokumentieren. anlässlich des 50-jährigen gründungsjubiläums der schule zeigt er den individüllen blick eines schülers auf diese erste phase der hfg, die mit dem ausscheiden max bills endete. max bill hatte die frühe phase der hfg und ihre inhaltliche ausrichtung entscheidend geprägt. die festlegung der schule auf die angewandten bereiche visülle kommunikation, produktgestaltung, industrialisiertes baün und information, das heißt ein bewusstes gegenmodell zur traditionellen kunstakademie, war sein konzept. gleichzeitig fußte dieses konzept aber auch auf dem grundlehre-unterricht bei konkreten künstlern. diese bewusste negierung der kunst auf der einen seite, bei gleichzeitiger erhöhung der kunst als grundlagendisziplin aller angewandter gestaltung, lässt ein ganz spezielles kunstverständnis erkennen, ein spezielles verständnis der beziehung von kunst und design. es wurde zur grundlage aller werke, konzepte und ideen, die an der hfg entstanden, und damit auch die grundlage der werke und konzepte mavigniers. deshalb soll dieser ansatz im folgenden anhand zweier texte - „schönheit aus funktion und als funktion“ und „die mathematische denkweise in der kunst unserer zeit“ - erläutert werden, die bill kurz vor der gründung der hfg verfasste. bereits 1949 betonte bill, „dass das herstellen von bildern und plastiken von den zukünftigen industriegestaltern nicht als erstrebenswerte tätigkeit betrachtet werden dürfte. dies ist keine kampfansage an die freien künste. denn so wenig wie die neüsten ergebnisse in der theoretischen physik letzten endes zur herstellung einfacher, praktischer und jedermann nützlicher apparate entbehrlich sind, so wenig ist die bildende kunst entbehrlich für die entwicklung irgendwelcher gegenstände, und die auseinandersetzung nicht nur mit den geistigen erscheinungen der kunst, sondern mit den heutigen und neüsten problemen ist unbedingt notwendig.“ 2 die auseinandersetzung mit der kunst war für bill die grundlage jeglicher gestalterischer tätigkeit. sie macht wie die „theoretische physik“ die aktuellsten frage- und problemstellungen sichtbar. kunst liefert den theoretischen überbau für die angewandte gestaltung oder kann die fragen, die sich auch für die angewandte gestaltung stellen, abstrakt, losgelöst von einer zu erfüllenden aufgabe eines angewandten objekts, untersuchen. die frage stellt sich für das angewandte objekt wie für das kunstwerk; das angewandte objekt kann die fragestellung aber nur transformiert aufgreifen, während das kunstwerk sie konkret behandeln kann. „daraus geht dann auch eine stileinheit zwischen den verschiedenen heutigen bestrebungen hervor, eine einheit zwischen den latent vorhandenen formströmungen und der freien kunst in ihrer ausgesprochenen und eindeutigen funktion, vollkommene schönheit und harmonie zu verkünden, ohne äußere hemmungen und einschränkungen. dadurch vermittelt die kunst auch immer einen ausblick auf in der luft liegende möglichkeiten und fragen, im positiven wie im negativen. die auseinandersetzung mit diesen, sich gewissermaßen in kristallform zeigenden gestaltungsproblemen, gilt aber nicht nur für die gebrauchsgütererzeugung, sondern sie ist auch für die weiterentwicklung der architektur eine existenzfrage erster ordnung.“ 3 die verkündung vollkommener schönheit und harmonie ist die funktion der kunst. in ihr zeigen schönheit und harmonie sich „in kristallform“. die themen der kunst, die grundlagen der gestaltung, die sie erforscht, die grundlagen von schönheit und harmonie definiert bill so: „das geheimnisvolle der mathematischen problematik, das unerklärbare des raumes, die ferne oder nähe der unendlichkeit; ein raum, der auf der einen seite beginnt und auf der anderen seite, die gleichzeitig dieselbe ist, in veränderter form endet; die begrenzung ohne feste grenze, die vielfalt, die dennoch eine einheit bildet; die gleichförmigkeit, die durch die anwesenheit eines einzigen kräfteakzentes verändert wird; die vibrationen und überstrahlungen nebeneinanderliegender farbpartikel; das kraftfeld, das aus lauter variablen besteht; die parallelen die sich schneiden und die unendlichkeit, die in sich selbst zurückkehrt als gegenwart; und daneben wieder das quadrat in seiner ganzen festigkeit; die gerade, die von keiner relativität getrübt wird, und die kurve, die in jedem ihrer punkte eine gerade bildet – alle diese dinge, die scheinbar mit den täglichen bedürfnissen der menschen nicht zu tun haben, sind dennoch von größter tragweite, im moment, wo sie kunst werden. diese kräfte, mit denen wir umgehen, sind die grundkräfte, die jeder menschlichen ordnung zugrunde liegen, die in jeder von uns erkennbaren ordnung enthalten sind.“ 4 berücksichtigt das design diese grundlagen, so sieht bill eine einheit von kunst und design. kunst liefert die grundlage für die angewandte gestaltung, ist jedoch dadurch nicht wichtiger als die umsetzung dieser grundlagen durch das design. die beiden bereiche sind nach bill zwingend miteinander verbunden, eine trennung wäre für beide sinnlos. die kunst muss die grundlagen erarbeiten, das design muss sie umsetzen. kunst, die es nicht schafft, den angewandten bereich zu beeinflussen, ist sinnlos. design, das die grundlagen der kunst nicht berücksichtigt, funktioniert nicht. in diesem konzept der einheit von kunst und design enthierarchisiert max bill die kunst gegenüber der angewandten gestaltung. gleichzeitig wertet er sie aber auch auf, gerade gegen den vorwurf der nutzlosigkeit oder des luxus. sie ist von elementarer wichtigkeit, wenn die koppelung an den angewandten bereich gelingt. die kunst und das kunstwerk ist dann nicht mehr der romantische geniestreich, der seiner zeit voraus ist. die beschäftigung mit den grundlagen der gestaltung und das herausarbeiten dieser grundlagen machen die kunst allgemeingültig, allgemeinverständlich und ihre ergebnisse allgemein anwendbar. deshalb bilden nicht nur kunst und design eine einheit, sondern ist auch die trennung zwischen künstler und designer hinfällig. „es ist einleuchtend, dass die gestalter der industrieprodukte neben ihrem umfangreichen wissen auch wirkliche künstler sein sollen, die aber gegen die idee gefeit sind, dass das bildermalen oder plastikenmachen viel wichtiger oder von höherem wert sei als das herstellen guter geräte von vollkommener schönheit.“ 5 als einleitung für diesen text dient das zitat aus dem interview, das wir mit almir mavignier geführt haben: „kunst ist design.“ mavignier hat damit auf seine pointierte art und weise das konzept von bill auf den punkt gebracht. eine trennung von kunst und design, gar eine hierarchisierung ist nicht sinnvoll. das werk von mavignier spiegelt das wider. seine konkreten bilder zeigen die gestaltungsprobleme in „kristallform“, wie bill es forderte. seine plakate setzen die grundlagenforschung der kunst um, indem sie die ästhetische information der kunst mit vermittlung von schriftinformation koppeln, wie beim plakat zur dieser ausstellung. in anderen fällen wieder wendet mavignier die an der hfg erlernten analysemethoden an, um eine der aufgabenstellung entsprechende, immer überraschende informationsvermittlung zu gestalten. die person almir mavignier und sein oeuvre stehen damit mustergültig für das, was sich das neü museum für kunst und design zur aufgabe machen möchte. wir danken almir mavignier für seine bereitschaft, diese ausstellung in ingolstadt zu verwirklichen und sein archiv als material dieses katalogs zur verfügung zu stellen. mit großem engagement hat almir mavignier den katalog, das plakat zur ausstellung und die präsentation der ausstellung gestaltet. großer dank gilt auch seiner frau sigrid mavignier für die mitarbeit am katalogtext und seinem sohn delmar mavignier für die fotoarbeiten und die mitarbeit an der gestaltung und der digitalen umsetzung der entwürfe von plakat, einladungskarte, katalogumschlag und flyer. 2 max bill, schönheit aus funktion und als funktion, in: werk 8, 1949, S. 274 3 ebd. s. 274 4 max bill, die mathematische denkweise in der kunst unserer zeit, in: werk 3, 1949, s. 90 5 ebd. s. 274 |