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philipp otto runge
Die Digital-Restaurierung von „Der große Morgen“
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Es mußte erst ein Brasilianer kommen, um ein Hauptwerk der deutschen Romantik wiederherzustellen.“ - Almir Mavignier Artikel von Boris Hohmeyer, Art 8/1998, S. 49ff
Aurora erwacht auf dem Computer-BildschirmDer Tag bricht an. Aus sanft leuchtenden Wolken tritt Aurora, die Göttin der Morgenröte. Rosenstreuende Genien huldigen ihr und dem neugeborenen Kind auf dem Boden, einem Symbol des jungen Tages. Doch der sanfte Übergang vom Nachtblau in der Höhe zum gelben Licht, das den Sonnenaufgang ankündigt, ist brutal gestört: Das allegorische Gemälde zerfällt in einzelne Farbfelder auf grauem Grund. Schuld daran ist ein zugeheirateter Nachfahre des Malers. Als der Romantiker Philipp Otto Runge 1810 mit 33 Jahren starb, blieb sein letztes Bild „Der große Morgen“ im Familienbesitz. 80 Jahre später schnitt der Schwiegersohn seines Sohnes neun Stücke aus dem Werk heraus und warf den Rest weg. Erst 1927 wurden die Fragmente in der Hamburger Kunsthalle auf einer neutralen Leinwand wieder zusammengefügt. Jetzt wollte der Maler und Grafiker Almir da Silva Mavignier, 73, das Werk endlich einmal so sehen, wie Runge es gemalt hatte. Daß kein Restaurator die verlorenen Partien mit dem Pinsel ersetzen kann, leuchtete ihm ein. Doch mit Hilfe der Computer-Technik, so Mavigniers Gedanke, müßten sich die Lücken wenigstens in der Reproduktion überzeugend schließen lassen. Zusammen mit seinem Sohn Delmar, (...) plante der in Hamburg lebende Brasilianer die „Wiederbeseelung“ des Bildes. Als Grundsatz stand für beide fest: Sie wollten das Werk nur durch Vervielfältigung seiner eigenen Substanz heilen, keine Linie und keinen Farbtupfer hinzufügen, die nicht von Runge selbst stammten. So scannte Delmar Mavignier den „Großen Morgen“ mit feinster Auflösung in den Computer ein und versuchte zunächst, die Spuren von Schmutz und Beschädigungen zu entfernen. Auf dem Bildschirm schnitt er dann kleine Stückchen aus den Gemäldefragmenten und reproduzierte sie. Wie ein Chirurg, der einem Unfallopfer Hautteile von Armen und Beinen ins Gesicht transplantiert, fügte der Grafiker solche vervielfältigten Originalelemente zu einem Himmel zusammen, den mit all seinen Schattierungen auch Runge selbst gemalt haben könnte. Dann verwischte er die noch sichtbaren Nähte zwischen den einzelnen Teilen. Der Vater übernahm dabei die Oberaufsicht, um mit dem Feingefühl des Künstlers zu vermeiden, daß die Rekonstruktion allzu mechanisch ablief. „Rein technisch kann jeder so etwas machen“, sagt er, „aber nicht jeder kann das verantworten.“ Wo Bäume am Horizont und Kräuter auf dem Boden ergänzt werden mußten, wurden sie in mühsamer Kleinarbeit aus einzelnen Stücken von Runge gemalter Pflanzen neu zusammengesetzt. Am schwersten war die Lücke über dem Kopf der Aurora zu schließen: Dort fehlen die Haarsträhne, mit der die Göttin nach Runges Worten „wie mit einer Flamme vor sich her“ leuchtet, und der Stengel der über ihr erblühenden „Lichtlilie“. Doch zum Glück ist eine Vorzeichnung für diese Partie überliefert, die so genau mit dem ausgeführten Gemälde übereinstimmt, daß sie sich deckungsgleich auf die Fragmente projizieren ließ. Die Linien der Zeichnung wurden dann nach Vorbildern aus dem übrigen Bild mit Rungeschen Pastelltönen gefüllt. Das Ergebnis dieser Arbeit sieht zweifellos besser aus als das ramponierte Original, doch auch die Grafik kann nicht zeigen, was Runge tatsächlich wollte: Der scheinen Auroras als Bild im Bild „Große Morgen“ ist nie vollendet worden. Was der Maler noch damit vorhatte, zeigt eine frühere Version, der sogenannte „Kleine Morgen“ von 1808/09: Die Aurora-Szene war nicht als selbständiges Werk geplant, sondern als Bild im Bild, umgeben von christlich-kosmischen Symbolen. Bei der Zweitfassung sollte sogar ein echter Holzrahmen die innere von der äußeren Zone trennen und so auf erstaunlich moderne Weise den illusionistischen Charakter des Gemäldes brechen. Außerdem ist die untere Bildhälfte wohl unfertig, farblich zu matt. Runges Bruder nannte das Gemälde darum die „große Untermalung“. Aber auch den Zustand von 1810 haben die Mavigniers mit ihrem Verfahren nicht wirklich wiederherstellen können. Gerade die skrupulöse Konsequenz, mit der sie an Runges Fragmenten und Vorstudien festgehalten haben, macht das Projekt inkonsequent: Wo kein gesichertes Material vorhanden war, haben sie lieber auf Bildelemente verzichtet, als eine freie Rekonstruktion zu wagen. So fehlen die seitlichen Blätter der Lilie, Ihre Ansätze sind neben dem Körper der Aurora, die Spitzen unter den Füßen der Harfe und Triangel spielenden Putten erkennbar, doch anders als beim Stengel war ihre genaue Form nicht aus der Vorzeichnung zu erschließen. An ihrer Stelle erscheint nun blauer Himmel; der Bildaufbau, in dem alles auf die Aurora-Figur bezogen ist, verliert an Halt. Ebenso fehlt der halbrunde obere Abschluß, der beim „Kleinen Morgen“ als kompositorische Klammer wirkt und dem - mutmaßlich Runges Absicht entsprechend - der Rahmen nachgebildet ist, in dem der „Große Morgen“ in der Hamburger Kunsthalle hängt. Trotz solcher Probleme überwiegt die Freude darüber, erstmals seit über 100 Jahren den „Großen Morgen“ als zusammenhängendes Bild sehen zu können. Begeisterte Reaktionen von Museumsleuten und Runge-Forschern machen den Stolz verständlich, mit dem Almir Mavignier sagt: |
Almir Mavignier war konkreter Künstler, der bei aller Offenheit für das Unbewußte und Unbekannte sich Kunst verschrieben hat, die auf mathematisch-geometrischen Grundlagen beruht. In der auf keine materielle Realität Bezug genommen wird, sondern in der Geistiges ohne symbolische Bedeutung durch geometrische Konstruktion umgesetzt wird.
Es ist daher wirklich überraschend aber auch bezeichnend für die Offenheit Mavigniers, dass er in der Lage war sich über die Grenzen der eigenen Malerei hinwegsetzen konnte und sich für einen Maler der deutschen Romantik begeistern konnte: Philipp Otto Runge (1770-1810). Mein Vater hat Briefmarken aus Runge Motiven gestaltet und einen Zyklus von Farbdrucken zu den Vier Jahreszeiten bevor er sich der aufwendigsten Arbeit gewidmet hat: der Restaurierung des Grossen Morgens. Das letzte unvollendete aber für die Romantik bedeutende Werk Philipp Otto Runges, entstanden in seinem Todesjahr 1810, hängt heute in der Kunsthalle in der restaurierten Version, die aber die Wirkung des Bildes nicht vermitteln kann. Mein Vater wollte das Bild wieder sichtbar und erfahrbar machen und so begangen wir 1997 mit den damaligen noch recht bescheidenen Computermöglichkeiten mit Photoshop das Bild anhand eines sehr guten Scans der Fotografie und immer mit Referenz auf Runge's Zeichnungen das Werk zu rekonstruieren. 1998 war diese Arbeit fertig (2. Bild) aber ich war damals nicht in der Lage den wichtigen mittleren Teil zu rekonstruieren. Aber nie werde ich den Tag vergessen, als wir zu einem Treffen mit der Familie Runge nach Wolgast gefahren sind und über Stunden in einen Sonnenuntergang gefahren sind, der das gleiche Orange-Gelb-Goldene Licht hatte wie das Licht der Aurora. Runge selbst war wohl unzufrieden mit dem Bild und hat angeblich auf dem Sterbebett um die Zerstörung gebeten. Wenn man sich das Motiv bzw die Lichtsituation genauer anschaut, kann man verstehen warum dieses Bild dem Maler wahrscheinlich grosse Bemühungen abverlangt hatte – Als Maler fällt mir die Lichtsituation auf, die sehr ungewöhnlich ist, da die Hauptfigur das Licht erschafft, mit dem die ganze Szene beleuchtet wird. Zunächst mal zum Vergleich der Lichtsituation, hier das berühmte Bild Sandro Botticellis aus dem 15ten Jahrhundert, "Die Geburt der Venus", in der die Hauptfigur zentral auf uns zukommt. In diesem Fall hat der Maler ein sehr einfaches, weiches Licht für die Szene gewählt, in der die Schönheit der Venus sehr vorteilhaft dargestellt werden konnte. Und nun nochmal zu Runges Bild - Die Hauptfigur der Aurora tritt aus dem Licht und verdrängt das Blau des Morgengrauens. Sie erschafft in der Szene die Beleuchtung der Lilie und Engel. Die Szene ist spektakulär aber Runge's Hauptfigur befindet sich bis auf das linke Bein noch völlig im Schatten und erhält nur eine Art Rück- und Seitenlicht. Das muss eine grosse Herausforderung gewesen sein und ich kann sehr gut nachvollziehen, daß Runge's letzte Gedanken auf seinem Sterbebett diesem Bild galten und dies muss der Grund gewesen sein, warum das Bild dann zerteilt wurde.
Nichts desto trotz ist es ein Meisterwerk und ein Hauptrepräsentant der Malerei der Romantik. |