5.3. 1958
Otto Piene Düsseldorf Cranachstr, 32 Sehr geehrter Almir da Silva Mavignier! Leider erfuhr ich erst durch das Februar-"Kunstwerk" von Ihrer Ausstellung in Stuttgart im vergangenen Dezember, Ich bekam das Heft sehr spät und bekam nun freundlicherweise Ihre Anschrift von Herrn Faigle übermittelt, Nach der Besprechung von Seitz hatte ich es vermutet und fand es bestätigt, als ich den Katalog bekam: Ihre und meine künstlerischen Interessen scheinen sich in mancher Hinsicht zu begegnen. Das freut mich sehr, denn bisher hatte ich hier in Düsseldorf, wo die jüngeren Maler alle mit tachistischem Pathos einhergehen, das Gefühl, ganz und gar isoliert zu sein. Die Ähnlichkeit unserer Absichten mag Ihnen der beigefügte Katalog bestätigen. Seit einem Jahr gibt es in meinen Atelier die “Abendausstellungen", die ein sehr gutes Echo haben. Voraussichtlich am 17,4.4.J, wird die nächste sein, unter dem Thema “Das rote Bild". Ca 30 Maler werden hier mit je einem Bild vertreten sein (u.a, Brüning, Kaufmann, Geiger, Piene, Thieler, Yves, Wind). Die Ausstellung soll erweisen, dass die Malerei Farbe macht und nicht “Natur” oder dergleichen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich an dieser Ausstellung mit einem Bilde beteiligen würden! Ausserdem soll zu dieser Ausstellung die erste Nummer einer Zeitschrift erscheinen, die ich mit Mack zusammen herausgeben. werde. Dieses Vorhaben wird von dem Kritiker J.A. Thwaites lebhaft unterstützt. Wollen Sie mir dafür (wie die anderen an der Ausstellung Beteiligten) 6-10 Zeilen schreiben zu der Frage "Was bedeutet die Farbe in der aktuellen Malerei? Als nächste Abendausstellung (etwa Mitte oder Ende Juni) plane ich eine unter dem (vorläufigen) Titel "Raster”. Es wäre sehr schön, wenn Sie dabei mit mehreren Bildern mitmachen würden! In der Hoffnung, bald von Ihnen zu hören, begrüße ich Sie herzlich. Ihr O. Pienne |
almir mavignier hochschule für gestaltung ulm-donau
17-3-58 herrn otto piene cranachstrasse 32 lieber herr piene für ihren sehr freundlichen brief danke ich ihnen. die reproduktion eines ihrer bilder in dem beigefügten katalog ist für mich sehr interessant. ich würde einen engeren kontakt begrüssen um dadurch die gegenseitigen probleme kennenzulernen. gerne werde ich ihrer einladung nachkommen und mich mit einem bild an der ausstellung "das rote bild" beteiligen. sie müssten mir nur noch den definitiven termin mitteilen, vor allen dingen, bis wann das bild bei ihnen in düssellorf sein muss. ich kann ihnen allerdings noch nicht versichern, ob ich einen beitrag zu dem thema "was bedeutet die farbe in der aktuellen malerei" in ihrer zeitschrift leisten kann. ich bin z. z. mit arbeiten im zusammenhang mit meinem studium sehr belastet, dazu kommen noch meine schwierigkeiten in der deutschen sprache. für ihre nächste ausstellung unter dem motto "raster" stelle ich gerne einige meiner bilder zur verfügung. für diese ausstellung möchte ich ihnen die arbeiten eines kollegen herr adolf zillmann sehr empfehlen. herr zillmann beschäftigt sich schon seit langer zeit mit dem problem des rasters und ist nach meiner auffassung zu sehr guten ergebnissen gekommen. ich werde ihnen in der Anlage einige fotos seiner arbeiten übersenden mit einer stellungnahme zum problem. ich freue mich wieder von ihnen zu hören und grüsse sie herzlich ihr almir mavignier |
Mavignier gehört zu den Zero-Künstlern der 'ersten Stunde'; er ist in Zero 1, 2, 3 vertreten; er hat bis 1964 an allen wichtigen Zero-Ausstellungen teilgenommen." |
The new definition of painting
The artists associated with ZERO emerged from their respective and distinctive experiences of World War II with a common goal: to start with a blank slate and to develop artistic languages and strategies commensurate with their own time. Their careers began during the heyday of European Art Informel, an art movement that developed concurrentlz with Abstract Expressionism in the United States. With its gestural abstraction and existentialist themes, Art Informel left the emerging group of artists unsatisfied and in search of an art that was more in tune with the zeitgeist of hope and optimism characteristic of the late 1950s and early '60s.
This young generation found inspiration both in their own studios and among their contemporaries. Yves Klein was a particularly influential figure. Reducing the palette to a single color — the monochrome — Klein downplayed the hand of the artist and personal expression, questioning the object's status and favoring immateriality. His 1957 show at Galerie Schmela in Düsseldorf had a major impact on his contemporaries. Similarly, the older but no-less-influential Italian artist Lucio Fontana opened up new horizons with his Concetto spaziale series (1947-68), slashed works that explored new dimensions in painting. In Germany, Otto Piene and Heiny Mack shared an interest in light, structure, and vibration, sparking a fruitful exchange of ideas between the two artists. By 1957 Piene had begun to use stencils with punched-in holes to apply paint to canvas, an approach that had affinities with the work of Brazilian artist Almir Mavignier, whose work is dominated by patterns of pointed dots in relief. In parallel, Mack explored the serial application of lines to both canvas and aluminum, removing all compositional or expressionist content in an effort to generate a sensation of dynamism. Günther Uecker recognized the efficacy of nails as both tools and material in his artwork, quickly shifting from using them as a means to incise patterns on the surfaces of his oil paintings to incorporating them as a primary element on and within the picture plane. In Milan, Piero Manzoni developed an entire body of work entitled Achromes (1967-63). Literally meaning "absence of color", these works test the limits of the painterly medium, using everyday materials like bread, cobalt chloride, and Styrofoam. Also in Milan, Enrico Castellani and Agostino Bonalumi experimented with the deformation of the traditional canvas, finding ways to bring elements of relief to their monochrome surfaces. In Antwerp, Walter Leblanc used cotton threads on canvas and polyvinyl to activate the surfaces of his paintings. While the new generation of artists explored such outlets as the monochrome, serial structure, and new materials, it is important to note that painting remained the medium of choice in the late 1950s and early '60s. This is evinced by Mack and Piene's selection of Das rote Bild (The red picture) as the theme of the first issue of ZERO, the publication they inaugurated with their seventh Abendausstellung (Evening Exhibition) in 1958. Text from exhibition cataloge "ZERO Countdown to tomorrow, 1950s–60s", p.88, at the Guggenheim Museum, Valerie Hillings, Edouard Derom, 2014, ISBN 978-0-89207-514-0, Amazon: https://www.amazon.de/ZERO-Countdown-Tomorrow-1950s-60s/dp/0892075147 FIRST CONTACT Mack/Piene with Mavignier
On April 24, 1958, Mack and Piene undertook their seventh and most ambitious Evening Exhibition yet, which showcased the work of forty-five artists — including, for the first time, Uecker — in a presentation called Das rote Bild (The red picture). The two artists coedited and released an accompanying publication, the first of three issues of the self-published magazine ZERO. Due to the stated theme of the show, nearly all the participants submitted paintings. (...) Mack and Piene also invited Brazilian artist Almir Mavignier to participate. One of the pionieers of abstract art in Brazil in the mid-1940s, he left for Europe in 1950 and studied at the Hochschule für Gestaltung in Ulm, West Germany with Max Bense, Max Bill, and, for a two-month period in 1955, Josef Albers. Mavignier had caught Piene's attention via a Das Kunstwerk review of his 1957 show at Galerie Gänsheide 26 in Stuttgart, where he first presented paintings defined by pointed, dot-like forms in relief, which have affinities with those in Piene's Stencil Paintings. Piene wrote to Mavignier, "Yours and my artistic interests seem to overlap in many ways. I am very pleased about this, as so far in Düsseldorf, where all the younger painters are bound up with Tachist emotionalism, I feel utterly and completely isolated."
Text from exhibition cataloge "ZERO Countdown to tomorrow, 1950s–60s", p.18-19, at the Guggenheim Museum, Valerie Hillings, Edouard Derom, 2014, ISBN 978-0-89207-514-0, Amazon: https://www.amazon.de/ZERO-Countdown-Tomorrow-1950s-60s/dp/0892075147 Kunst ist Mathemathik
Mathematische Exaktheit, genau kalkulierte Raster, Punkte in Reih und Glied sind nicht das, was man von einem brasilianischen Temperament erwartet: Der Maler und Grafiker Almir Mavignier (geb. 1925) wurde in Rio geboren und hat 1953-58 an der Ulmer Hochschule fiir Gestaltung bei Max Bill und dem ehemaligen Bauhaus-Mitglied Josef Albers studiert. Ab 1958 gehörte er zum Umkreis der Gruppe ZERO. 1965 wurde er Professor fiir Malerei an der Hochschule fiir bildende Künste in Hamburg, wo er noch heute lebt. Bekannt geworden ist Mavignier vor allem für seine grafisch wie technisch anspruchsvollen Plakate. Mavigniers Leidenschaft gehorte der Geometrie. Sein Verzicht auf traditionelle Komposition und auf jede gestische, individuelle Spur traf sich genau mit den künstlerischen Zielen der ZERO-Künstler. Wie diese erschuf Mavignier mit minimalen Mitteln eine Welt der Ordnung, der exakten Analyse. Dennoch benutzt er keine technischen Hilfsmittel wie etwa gerasterte Schablonen, sondern setzt seine prazisen Farbtupfer mit staunenswerter Geduld direkt auf die Leinwand. Ausgangspunkt seiner Arbeiten ist ein Konzept, eine Idee, ein System. Spannend wird es immer dort, wo er aus diesem System ausbricht, wo er das Raster transformiert, wo er das Gleichmaß der optischen Gesetze verlasst. Die beiden in der Sammlung Stinnes befindlichen Gemalde zeigen solche raffinierten Deformationen und Verschiebungen. Leuchtend gelb heben sich vor einem monochrom schwarzen Grund geometrische Figurationen — bestehend aus systematisch zu Reihen geordneten, größer und wieder kleiner werdenden Punkten — ab, die plotzlich Richtungen, Offnungen entwickeln. Aus Fläche wird hier Raum, aus Farbe Licht. Das Auftauchen aus oder Verschwinden von Formen in der unauslotbaren Schwarze erzeugt einen geheimnisvollen Bewegungsimpuls, der den Betrachter einladt, der Kriimmung des Raumes zu folgen, sich in die dunkle Tiefe abgleiten zu lassen. Aus dem Buch: Von Zero an Die Kunstsammlung der deutschen Bahn Stiftung Karin Michels (Autorin) Verlag für moderne Kunst, 2014 ISBN 978-3-86984-531-9 auf Amazon |
almir mavignier
79 ulm münsterplatz 38 14-10-64 mein lieber otto piene, dein brief hat mich sehr gefreut, ebenfalls noch besonders die nachricht, daß du professor bist an der universität in philadelphia und ich wünsche, daß du guten profit davon nimmst. zu der zero-ausstellung du weißt ja, daß ich nie vergessen werde, wie sehr du und heinz mack meine arbeit unterstützt haben, auf den verschiedenen ausstellungen. das werde ich immer anerkennen. wie die sache sich nun entwickelt hat, nicht nur in bezug auf zero, sondern auch auf die neue tendenz, wird es mir desto klarer, daß ich ein maler bin, der noch bilder malt, die sich nicht zusammen mit objekten, (die ich sehr zu schätzen weiß) die keine bilder mehr sind, ausstellen lassen. schon bei unserer gemeinsamen ausstellung in mailand in der galerie ? -castellani-manzoni- habe ich doch gesehen, als die ausstellung montiert war, daß die einzigen noch gemalten objekte von ives klein und von mir waren, und daß diese bilder fehl am platz waren, weil sie noch gemalt waren. dieser eindruck hat sind inzwischen immer mehr verstärkt. herzlichen dank für deine empfehlung für die brasillanische ausstellung, ich wünsche dir guten aufenthalt und bin mit herzlichen grüßen dein (almir mavignier) |
Anmerkung Delmar Mavignier:
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Almir Mavignier hat durch das Studium an der hfg sich mit einem radikal neuen Verständnis von Gestaltung auseinandergesetzt, dessen Grundlagen Funktionalität, Wissenschaft, Form, Ratio und Konzeption waren und sich durch Nüchternheit und Klarheit auszeichnete. Mavignier hat als Künstler mit höchster Konsequenz Elemente der Lehre der hfg auf seine Malerei und jede Art von Gestaltung übertragen. Er wurde Teil der Avantgarde aus der sich Zero auch rekrutierte und war in kollegialem Kontakt und Netzwerk mit vielen der Zero Künstler. Viele der Zero Künstler haben sich durch ihre Kunst mit ähnlichen Problemen beschäftigt wie Mavignier und hier fühlte er sich verbunden, aber Zero hatte bald eine eigene Sprache und Form der Inszenierung entwickelt und diese war nicht kompatibel mit seiner Sicht und er hat diese als romantisierend bezeichnet. Er konnte sich auch später nie mehr mit Zero voll identifizieren. Aber dennoch kann er aus historischer Sicht als Zero Künstler betrachtet werden.
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